Clock Truthers – Die Geburt einer Bewegung

Vor knapp zwei Wochen verhaftete die Polizei von Irving, Texas den vierzehnjährigen Ahmed Mohamed, weil er eine eigenhändig gebastelte Digitaluhr zur Schule gebracht hatte, die er seinen Lehrer_innen zeigen wollte. Ihm wurde vorgeworfen, er habe eine Bombenattrappe gebaut, um damit eine Massenpanik auszulösen. Ahmed wurde anderthalb Stunden lang von vier oder fünf Polizist_innen verhört. Den Berichten zufolge beteuerte Ahmed während des Verhörs, er habe lediglich eine Uhr gebaut. Die Polizei befragte ihn weiter, weil er sich „passiv-aggressiv“ verhalten habe. Anschließend wurden Ahmed Handschellen angelegt und er wurde in eine Arrestzelle für Jugendliche gebracht. Schließlich wurde er freigelassen. Die Schule suspendierte ihn für drei Tage. Ahmed gibt an, er habe während des Verhörs darum gebeten, seinen Vater anrufen zu dürfen, was ihm verweigert worden sei.

So weit, so schlecht. Anscheinend gibt es in Texas ein Gesetz, dass es unter Strafe stellt, mit bombenähnlichen Gegenständen die Öffentlichkeit zu erschrecken. Deshalb, betont die Polizei von Irving, habe sie der Sache nachgehen müssen. Das Bemerkenswerte ist nur: Allem Anschein nach war niemand erschrocken. Niemand, weder Lehrer_innen noch die Polizei, hielt die Uhr wirklich für eine Bombe. Die Schule wurde nicht evakuiert, der Unterricht nicht unterbrochen. Trotzdem beteuern alle Verantwortlichen, sie hätten etwas unternehmen müssen, da die Uhr wie eine Bombe ausgesehen habe. An diesem Punkt zeigt sich die ganze Absurdität des Vorgangs, denn vernünftigerweise kann es in einem Fall wie diesem nur zwei Sichtweisen geben: Entweder ein Gegenstand sieht wirklich wie eine Bombe aus und ist deshalb erschreckend. Oder ein Gegenstand sieht nicht wirklich wie eine Bombe aus und man braucht keine Angst davor zu haben. Wenn aber jemand ankommt und behauptet, ein Gegenstand sehe wie eine falsche Bombe aus und sei deshalb besorgniserregend, dann ist das schlicht Blödsinn.

Aber je blödsinniger Blödsinn ist, desto leichter lässt sich daraus eine Verschwörungstheorie stricken. Schon kurz nachdem die Presse über Ahmeds Verhaftung berichtete, kursierten verschiedene Gerüchte in den sozialen Netzwerken: Das Display der Uhr habe gar nicht die Zeit angezeigt, sondern einen Countdown. Ahmeds Vater habe die Polizei aufgefordert, seinem Sohn Handschellen anzulegen, um den Medien skandalträchtige Bilder zu liefern. Das rechte Newsportal Breitbart hat inzwischen rund 30 Artikel über Ahmed Mohamed veröffentlicht, die mit immer neuen ‚Enthüllungen‘ aufwarten, die angeblich belegen, dass der Vierzehnjährige von Anfang an vorgehabt habe, die Aufmerksamkeit der Presse auf sich zu lenken. Zahllose YouTube-Videos und Blogbeiträge widmen sich mit wahnhafter Detailfreude der Aufgabe, Marke und Baujahr sämtlicher Einzelteile der Uhr zu identifizieren. Warum? Ahmed hat die Uhr als seine Erfindung bezeichnet. Aber wenn die Uhr doch aus Fertigbauteilen zusammengesetzt wurde, so die Verschwörungsfans, dann ist sie genau gesprochen keine Erfindung Ahmeds. Ha, erwischt! Betrug! Taqiya!

Ahmeds Vater, Mohamed Elhassan Mohamed, ist aus dem Sudan in die USA migriert. Er ist Taxiunternehmer und Oberhaupt einer kleinen Sufi-Gemeinschaft. Öffentlichkeitsscheu ist er anscheinend nicht. Er stellt sich als sudanesischer Politiker vor und kündigte bereits zweimal an, sich in seinem Geburtsland um die Präsidentschaft bewerben zu wollen – ob er tatsächlich zu Wahlen angetreten ist, ist unklar. In den USA erlangte er eine gewisse Bekanntheit, als er sich 2011 auf ein öffentliches Streitgespräch mit dem islamophoben Pastor Terry Jones einließ, das damit endete, dass Jones einen Koran verbrennen ließ. Für den konservativen Kolumnisten Mark Steyn reichte das aus, Mohamed als “belligerent Muslim activist” zu bezeichnen. Irvings Bürgermeisterin, Beth Van Duyne, gießt derweil Öl in die Flammen. In einem Interview mit Glenn Beck widersprach sie nicht, als Beck orakelte, „die Islamisten“ hätten es auf die texanische Stadt abgesehen. Ahmeds Bombenattrappe sei als Warnsignal zu verstehen. Beck weiter:

[They] weaken and weaken and then it becomes violent […] Any doubt this is the final throes of weakening us to the point where we don’t ask any questions, to ready for the final confrontation?

Van Duyne ist kein unbeschriebenes Blatt. Islamophoben Kreisen gilt sie als heroische Kämpferin gegen die Islamisierung der USA: Die islamische Community von Irving unterhielt ein Schiedsgericht, wie es viele Religionsgemeinschaften in den USA tun. Es bietet die Möglichkeit, Streitfälle gegen Zahlung einer Gebühr außergerichtlich schlichten zu lassen. Van Duyne behauptete, die islamische Community wolle durch das Instrument der Schiedsgerichtbarkeit heimlich „die Scharia“ in den USA einführen, und präsentierte umgehend einen Gesetzesentwurf, um das finstere Treiben der Muslime von Irving zu unterbinden. Jetzt munkelt die Bürgermeisterin, hinter Ahmeds Verhaftung stecke mehr, als der Öffentlichkeit bewusst sei. Das gehe aus den Akten der Schule und der Polizei hervor. Diese sind bislang nicht veröffentlicht worden, weil Ahmed minderjährig ist und eine Veröffentlichung nur mit Einverständnis seiner Familie erfolgen kann. Was wirklich in den Akten steht, weiß also so gut wie niemand. Es ist ein klassisches Argumentum ad ignorantiam: Weil nicht alle Fakten bekannt sind, muss irgendein sensationelles Geheimnis dahinterstehen. Nichtwissen wird als Wissen ausgegeben.

Das Schlusswort überlasse ich Danish Ali:


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